Mahmoud Jaraba über „Clankriminalität“ und Familienstrukturen
Bereits seit vielen Jahren forscht Dr. Mahmoud Jaraba, Mitarbeiter am Erlanger Zentrum für Islam und Recht in Europa (EZIRE), zu familienbasierter Kriminalität in Deutschland, die öffentlich meist als „Clankriminalität“ verhandelt wird.
Indem er den Alltag vieler Familienangehörigen begleitet hat, ist es ihm möglich, ein differenziertes Bild von den historischen Entwicklungen der „Clans“ und den Strukturen, in welchen Kriminalität organisiert wird, zu zeichnen. Wenngleich einige Annahmen grundsätzlich richtig seien, so konstatiert der Politikwissenschaftler in einer jüngst erschienenen Expertise des Mediendiensts Integration, dass vieles, was über „die Clans“ berichtet wird, nicht den realen Gegebenheiten entspricht. Will man das Phänomen besser verstehen, so müsse man sich zunächst von der Vorstellung eines „Clans“ als homogene soziale Einheit, mit einem Oberhaupt als zentrale Autorität und strikten hierarchischen Strukturen, verabschieden. Zielführender sei es, die Familienstrukturen auf einer weniger abstrakten Ebene als die der „Clans“ zu betrachten. Hier schlägt Jaraba vor, sich auf die bayts, also auf Großfamilien, zu fokussieren, die meist nur drei bis vier Generationen umfassten.
Wenn familiäre Strukturen bei der Ausübung krimineller Aktivitäten zum Tragen kommen, dann auf dieser Stufe. Hier sei das Solidaritäts- und Zugehörigkeitsgefühl noch besonders stark ausgeprägt, wenngleich der Forscher ebenfalls Veränderungen in der Bindung, vor allem bei jüngeren Leuten, konstatiert. Allerdings, dies betont der Autor deutlich, seien die meisten Familienangehörigen nicht kriminell, doch aufgrund der überproportionalen medialen Berichterstattung entstehe eine grundsätzlich verzerrte Vorstellung von den Familien. Auch wenn sich einige Kriminelle in sozialen Medien öffentlich mit ihren Taten brüsteten, würde ein Großteil der Familien darunter leiden. Alltägliche Diskriminierungserfahrungen etwa in der Schule, der Arbeit oder auch in der Freizeit seien für viele mittlerweile Normalität.
Folglich müsse ein differenzierter Umgang angestrebt werden, was nicht bedeute, existierenden Probleme keine Bedeutung zu schenken – im Gegenteil: eine Blickschärfung, so Mahmoud Jaraba, in Bezug auf die sozioökonomischen Lebensverhältnisse der Familien, aber auch auf die familienbasierte Kriminalität als existierendes Problem sei unabdingbar. Dazu gehöre beispielweise auch eine nuancierte polizeistatistische Erhebung eben dieser.
Es gilt also, Vertrauen zum Staat und staatlichen Behörden aufzubauen, lokale Präventionsprogramme strategisch zu entwickeln und gleichzeitig Sicherheitsmaßnahmen nicht zu vernachlässigen, sondern diese den Realitäten der Kriminaitätsausübung anzupassen.
Die vollständige Expertise ist hier einzusehen. Darüber hinaus ist ein Vortrag Mahmoud Jarabas veröffentlicht worden, in welchem er seine Erkenntnisse vertiefend präsentiert.