Familienclans in Berlin: „Alle anderen sind die Gegner“ – Interview mit Mathias Rohe in den Erlanger Nachrichten

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In einem Interview mit den Erlanger Nachrichten vom 8. April 2019 thematisiert EZIRE-Direktor Mathias Rohe das Agieren von Familienclans in Berlin. Er befasst sich mit der Struktur von Clans, der Frage nach einem Kontrollverlust des Staates in einigen Stadtteilen, dem Umgang des Staates mit Clans und der Rolle von Frauen in Clans.

Schon über den Begriff „Clan“ herrsche keine Einigkeit, im Grunde sei ein Clan eine spezifisch strukturierte Großfamilie, in der es zum Teil kriminelle Strukturen gebe, die sich auf besondere Weise auf Familienloyalität stützten, so Rohe. Da Clans keine homogene Gruppe seien, wisse man nicht genau, wie viele Clans existierten und wie hoch die Mitgliederzahlen seien. Die Entstehung von Clans begründe sich im Grunde auf der Geschichte der arabisch-kurdischen Asylverfahren in den 70ger und 80ger Jahren, während derer die Leute lernten, sich nur auf sich selbst verlassen zu können – die anderen wären die Gegner. Der Unterschied zu klassischer Organisierter Kriminalität liege im Familienhintergrund, man komme in der Regel nicht von außen in einen Clan hinein. Außerdem träten Clans gerne sehr offensiv in der Öffentlichkeit auf, um ihre Macht zu demonstrieren. Durch dieses großspurige Auftreten käme auch das Bild der Öffentlichkeit, der Staat habe die Kontrolle in manchen Berliner Straßen verloren – doch dürfe man diesen Kontrollverlust nicht so geographisch sehen, das Problem sei nicht ortsgebunden, so Rohe. Gegen Straftaten wie zu Unrecht erworbenes Vermögen sei die Justiz bereits seit Jahren zugange, doch im Sozialbereich könne man durch Zugang zur Gesellschaft, Bildung und Wertesystemen noch mehr tun. Die Rolle der Clanfrauen sei ambivalent, so Rohe: Es gebe solche, die von ihren Ehemännern massiv misshandelt und unterdrückt werden ebenso wie solche, die die Männer zu Straftaten anstachelten. Außerdem leisteten sie durch die Erziehung ihrer Sohne zu „Löwen“ einen großen Beitrag zum System.Teilweise kooperierten Clanmitglieder mit den Behörden, zum Beispiel um einen Konflikt zu deeskalieren. Dies werde teilweise auch kritisiert, da so den kooperierenden Clanrespektspersonen zusätzliche Macht verliehen werde. Doch die Rolle der Streitschlichter als „Friedensrichter“, der jenseits der staatlichen Regeln Gesetz spricht, werde überschätzt. Häufig werde aber nach der passenden Lösung für das Kollektiv und nicht unbedingt für das einzelne Tatopfer gesucht, dieses Geschäftsmodell müsse man stören. Die Bedeutung der Zugehörigkeit zum Clan habe sich in der jungen Generation geändert: Junge Leute wollten sich teils aus der Clanstruktur lösen und alte Autoritäten nicht anerkennen, andere seien teils noch brutaler als die Alten und handelten inzwischen auch mit Drogen. Außerdem gebe es teilweise Versuche, Flüchtlinge „für die Drecksarbeit zu rekrutieren“ – deshalb sei es so wichtig, jedem eine sinnvolle Beschäftigung zu bieten, der nicht in absehbarer Zeit abgeschoben werden könne.